Dieser Artikel wurde im April 2020 geschrieben und Anfang Mai noch einmal leicht überarbeitet. Seitdem hat sich einiges getan. Die Videokonferenzwerkzeuge haben sich weiterentwickelt und so hat z.B. Zoom inzwischen eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erhalten. Bei Big Blue Button wurden einige Sicherheitslücken gefunden und es wurde deutlich, dass die Frage der Wartung und Weiterentwicklung freier Software keine einfache ist. Die Datenschutzaufsichtsbehörden haben sich teils mit konkreten Produktempfehlungen und in abgestimmter Form mit einer etwas abstrakteren Orientierungshilfe Videokonferenzsysteme zu Wort gemeldet. Beachten sollte man auch, dass durch das sogenannte „Schrems II“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.07.2020 Datentransfers in die USA derzeit auf sehr wackeligen Füßen stehen, wenn nicht sogar unzulässig sind. Damit scheiden US-Anbieter aus Datenschutz-Gesichtspunkten eigentlich schon von vorne herein aus und viele Informationen die man aktuell noch findet sind veraltet.
All diese Entwicklungen kontinuierlich in den Artikel einzupflegen ist leider nicht möglich. Die generellen Überlegungen die der Artikel anstellt sind aber natürlich nach wie vor aktuell.
Sicher kam auch in eurem Verein schon öfters die Frage auf, wie ihr euch digital austauschen könnt. Die aktuelle Situation, in der die Corona-Verordnungen Zusammenkünfte in Vereinen verbieten, macht dies jedoch zu einer absolut drängenden Frage. Das Vereinsleben soll ja schließlich nicht komplett stillstehen. Zumal zum jetzigen Zeitpunkt ein Ende der Einschränkungen noch nicht absehbar ist. Daher sind Videokonferenzen ein willkommenes Mittel um Besprechungen zu organisieren, Sitzungen virtuell abzuhalten oder gänzlich neue Formate für den Verein zu entwickeln. Doch schon bei der Auswahl des passenden Anbieters fangen die Schwierigkeiten an.
In den letzten Wochen wurde beispielsweise der Anbieter Zoom sehr populär. Nachdem er von vielen Seiten empfohlen wurde, kamen jedoch erste Berichte über Probleme bei der Sicherheit. Und je mehr Menschen genauer hinschauten, desto mehr Probleme traten zu Tage. Aber heißt das jetzt, dass man Zoom nicht mehr verwenden sollte? Und was nimmt man dann stattdessen? Einen freien Jitsi-Server oder doch besser einen anderen kommerziellen Dienst wie Microsoft Teams? Oder einfach das was man eh schon aus dem privaten Umfeld kennt, also zum Beispiel Skype oder WhatsApp Videoanrufe?
Dieser Beitrag gibt euch Antworten auf diese Fragen und zeigt euch, wie ihr einen für euren Verein passenden Anbieter auswählt. Vorab sei schon mal so viel gesagt: den einen perfekten Anbieter für alle Gegebenheiten und Zwecke gibt es leider nicht. Es hängt von eurem Verein, dem Einsatzgebiet in eurem Verein und auch euren persönlichen Präferenzen ab, bei welchem Anbieter ihr am Ende landet. Daher habe ich an dieser Stelle auch ganz bewusst keine Checkliste mit allgemeinen Prüfkriterien erstellt. Denn wenn man eine solche Checkliste neben die gängigen Anbieter legen würde, gäbe es immer Abstriche bei dem ein oder anderen Punkt. Daher ist es wichtig, dass ihr einen für euch passenden Anbieter auswählt.
Die Urlaubs-Analogie
Um das besser zu erklären, möchte ich euch mit auf eine Reise nehmen. Beziehungsweise mehrere mögliche Reisen. Stellt euch vor, ihr wollt in den Urlaub fahren. Ja, ich weiß, in Zeiten von Kontaktverboten und Ausgangsbeschränkungen ist das leider eine sehr ferne Vorstellung. Aber trotzdem. Stellt euch also vor, ihr wollt in den Urlaub fahren. Wie würdet ihr da vorgehen? Eine Suchmaschine eurer Wahl befragen und nach dem einen perfekten Urlaubsort suchen? Sicherlich nicht. Ihr habt ja eure Präferenzen und wisst zumindest so ungefähr was ihr wollt. Also eher irgendwo ins Warme, ans Meer oder lieber in die Berge mit möglichst wenig Zivilisation? Und wollt ihr lieber entspannen oder wandern gehen? Abhängig von den Rahmenbedingungen und euren Wünschen werdet ihr auch eine passende Unterkunft aussuchen. Also ein Hotel mit großzügiger Ausstattung oder eher eine einfache Unterkunft für ein paar Nächte und dann zieht ihr weiter? Den einen Ort mit der einen Unterkunft wo sich alle in ihrem Urlaub wohlfühlen gibt es schließlich nicht.
Und das ist nicht anders wenn ihr euch für digitale Dienste entscheidet. Es gibt inzwischen eine doch recht unübersichtliche Auswahl von Anbietern und Tools die man erst mal überblicken muss. Da gibt es sicher bessere und schlechtere. Und ganz schlechte, die man wie ein schlechtes Hotel, gar nicht empfehlen würde. Aber den einen perfekten Anbieter gibt es nicht. Auch wenn manche Anbieter das vielleicht von sich behaupten mögen. Aber so wie ihr bei der Urlaubsplanung eine ungefähre Idee habt wo ihr mit eurer Recherche startet, so ist es hier auch. Man kann die Möglichkeiten schon mal grob vorsortieren. Und abhängig davon was euch wichtig ist, wisst ihr in welcher Ecke ihr euch bewegt.
Die verschiedenen Systeme für Videokonferenzen würde ich mal als Inseln darstellen. Inseln deshalb, da ihr euch für einen Anbieter festlegt und man in aller Regel nicht von einem zum anderen Anbieter telefonieren kann. Als Verein legt ihr also fest wohin es geht und alle Teilnehmenden eurer Konferenz müssen dann zu dem Anbieter. Aber ähnlich wie bei echten Inseln, auf die wir potentiell in Urlaub fahren würden, kann man auch hier Inselgruppen bilden. Die Inseln einer Gruppe sind natürlich nicht identisch und austauschbar, aber jemand der auf der einen Inseln keine passende Unterkunft findet, überlegt vielleicht auch auf der Nachbarinsel zu schauen. Und wenn einem ein bestimmter Anbieter für Videokonferenzen nicht passt, dann schaut man sich einen ähnlichen Anbieter an.
Die Karte der Möglichkeiten
Hier ist mein Versuch einer „Weltkarte“ der aktuell gängigen Anbieter für Videokonferenzen:
Die Karte kann man erst einmal ganz grob in proprietäre Anbieter und freie Software unterteilen. Proprietäre Anbieter wie Zoom oder Skype sind euch wahrscheinlich gut bekannt, da die jeweiligen Firmen eine Menge Arbeit in die Pflege ihrer Marke und den dazugehörigen Marktauftritt stecken. Von freier Software wie Jitsi habt ihr aber vielleicht auch schon mal gehört.
Proprietär bedeutet grob gesagt, dass der Hersteller der Software die Nutzung der Software in einer Weise einschränkt, wie es seinem Geschäftsmodell dient. Es handelt sich bei proprietärer Software also in der Regel um ein kommerzielles Produkt, dass zumindest in einem Teil der angebotenen Varianten kostenpflichtig ist. Freie Software, oft auch Open Source Software genannt, kann von allen Menschen unentgeltlich und weitestgehend ohne Einschränkungen genutzt werden. Es gibt also insbesondere keine Nutzungsgebühren und es gibt die Besonderheit, dass man die Software selbst an seine Bedürfnisse anpassen kann. Vielen Menschen sind die Werte die dahinter stehen wichtig und für sie kommt daher eine proprietäre Software nicht in Frage. Das ist insbesondere bei Vereinen die in ihrem Vereinszweck ähnliche Werte leben oft der Fall.
In der folgenden Übersicht, könnt ihr euch durch die einzelnen Inselgruppen klicken und mehr über die jeweiligen Systeme und Anbieter erfahren:
Jetzt solltet ihr einen groben Überblick über die Anbieter haben und wissen aus welcher Richtung die jeweiligen Angebote kommen. Vielleicht habt ihr dabei schon gemerkt, in welcher Ecke ihr euch mit eurem Verein wohlfühlen könntet? Die eigentliche Entscheidung für einen konkreten Anbieter steht aber noch aus. Um diese zu treffen, kommt es auf ein paar Details an, die ich euch im Folgenden vorstellen möchte.
Auf welche Ausstattung es ankommt
Gehen wir noch mal einen Schritt zurück zu unserer fiktiven Urlaubsplanung. Ihr habt nun eine grobe Ahnung in welche Ecke es gehen soll. Trotzdem gibt es noch einige Details zu klären: Welche Unterkünfte stehen zur Verfügung, was wollt ihr dort unternehmen, braucht ihr irgendwelche Impfungen und wie sieht es mit dem Visum aus? Manche dieser Punkte hängen stark von euren Präferenzen ab, andere sind dringende Empfehlungen oder sogar rechtlich vorgegeben. Und genau so ist es bei den Details, die die Wahl eures Videokonferenz-Anbieters betreffen.
Wir wollen nun also klären, welche Ausstattungsmerkmale relevant sind und auf welche Details ihr achten solltet. Die verschiedenen Optionen für Videokonferenzen sind ein sehr breites Feld und nicht alles ist unmittelbar miteinander vergleichbar. Daher habe ich mich, wie schon erwähnt, ganz bewusst gegen eine Checkliste entschieden. Die folgenden Punkte sollen euch aber helfen, auf welche Details es im Allgemeinen zu achten lohnt.
Mit diesen Punkten im Kopf könnt ihr die Webseiten von Anbietern sicherlich gezielter absuchen und eine für euren Verein passende Auswahl treffen.
Das konkrete Vorgehen
Zusammenfassend empfehle ich die folgende Vorgehensweise:
- Überlegt euch, was euch als Verein grundsätzlich wichtig ist und zu euch passt. Klärt dabei auch die Frage, welche finanziellen Ressourcen ihr aufbringen könnt. Das technische Know-how bei euch im Verein ist ein anderes Kriterium. Je nachdem wie ihr diese Fragen beantwortet, landet ihr ein einer anderen Ecke der Anbieter-Landkarte weiter oben. Damit habt ihr schon mal eine sinnvolle Vorauswahl getroffen und den Suchradius erheblich eingeschränkt.
- Schaut euch dann mehrere Anbieter an. Behaltet dabei die hier genannten „Ausstattungsmerkmale“ im Hinterkopf. Achtet auch hierbei wieder darauf, was zu euch als Verein und zu eurem konkreten Anwendungszweck passt. Erfahrungsberichte aus dem Netz oder Fachzeitschriften können auch sehr hilfreich sein um einen generellen Eindruck vom Anbieter zu bekommen.
- Wenn möglich, testet den Anbieter mit ein paar eurer Mitglieder. Das ist leider nicht bei allen Anbietern möglich. Andererseits sind die Vertragslaufzeiten meist auch nicht so lang, so dass man auch ruhig mal eine Mitgliedschaft für einen Monat abschließen kann.
- Registriert euch über den Verein beim Anbieter und schließt mögliche Ergänzungsverträge zum Datenschutz ab.
Wie ihr eine konkrete Sitzung abhaltet, wäre Thema für einen eigenen Artikel. Gerade die Moderation virtueller Sitzungen kann erst mal sehr ungewohnt sein. Ein paar weitergehende Tipps möchte ich euch an dieser Stelle aber dennoch mitgeben:
- Macht euch vorab mit der Bedienung des Systems vertraut und konfiguriert den Raum so weit wie möglich. Häufig gibt es Einstellungsmöglichkeiten dafür wer in den Raum darf, wie viele Teilnehmende der Raum hat oder ob standardmäßig alle Mikrofone stummgeschaltet sind.
- Verteilt die Zugangsdaten vorab an mögliche Moderatoren, so dass auch diese sich mit dem Raum vertraut machen können. Bei größeren Sitzungen kann es sinnvoll sein, dass es neben der Person die die sprechende Hauptrolle hat, jemand anderes die technische Moderation übernimmt.
- Verschickt zusammen mit der Einladung ein paar Hinweise zur Technik. Also zum Beispiel, ob irgendwelche Software installiert werden muss. Weist darauf hin, dass die Benutzung von Kopfhörern dabei hilft, störende Rückkopplungen zu vermeiden. Hinweise zum Datenschutz und zum Anbieter gehören ebenfalls in die Einladung.
- Bietet gegebenenfalls einen Vorab-Termin zum Testen der Technik an. Nichts ist nerviger, als die erste halbe Stunde der geplanten Sitzung mit der korrekten Einstellung von Technik zu verbringen. Falls ein extra Termin übertrieben scheint, bittet um ein etwas früheres Erscheinen, so dass ihr vorab ein paar Minuten habt um die technischen Probleme zu klären.
- Moderiert die Sitzung aktiv. Durch die technische Verzögerung der Übertragung passiert es leider sehr leicht, dass man sich gegenseitig ins Wort fällt. Hier ist Disziplin bei allen Teilnehmenden das Mindeste, aber eine aktive Moderation kann auch helfen. Ein Handzeichen für die Wortmeldung zu vereinbaren, kann auch hilfreich sein. Das geht in manchen Systemen über einen speziellen Knopf, aber ein Winken in die Webcam oder eine kurze Meldung im Chat sind auch möglich.
Fazit
Der Wunsch einfach und schnell einen guten Anbieter für Videokonferenzen zu finden ist absolut nachvollziehbar. Leider ist die Lage recht unübersichtlich und die Anbieter und Systeme unterscheiden sich teils erheblich. Dabei kommt es auf viele Details, aber auch die „persönlichen“ Vorlieben eures Vereins an. Ich hoffe die hier genannten Kriterien helfen euch mit der Suche schneller voran zu kommen und eine für euch passende Lösung zu finden. Und wer weiß, vielleicht passt es ja so gut, dass ihr das digitale Arbeiten für eure Vereinsarbeit entdeckt und auch „nach Corona“ einen Teil eurer Arbeit darüber weiter macht.
Nachtrag vom 04.05.2020: Ergänzungen zu BigBlueButton
Seit Erscheinen des Artikels wurde die angesprochene Open-Source Lösung BigBlueButton immer populärer. Oftmals jedoch nur für geschlossene Gruppen, in Kombination mit den entsprechenden Lernumgebungen, und somit für die Allgemeinheit nicht nutzbar. Am 02. Mai ging jedoch der Dienst Senfcall.de online. Dieser sieht sehr vielversprechend aus. Neben der Tatsache, dass er scheinbar gut funktioniert, wurde hier vorbildlich auf eine datensparsame Konfiguration und Hinweise zum Datenschutz geachtet. Daher habe ich den Dienst in der Tabelle öffentlich verfügbarer Server aufgenommen. Außerdem habe ich die Thematik zu automatischen Aufzeichnungen bei BigBlueButton im Abschnitt „Freie Software selber hosten“ ergänzt.